Zwischen Pflicht und Kür – Gespräch mit Lysann Vahrenhold (Archiv)
Die 28-jährige Diplom-Kunstpädagogin Lysann Vahrenhold ist seit Beginn des neuen Schuljahres Fachbereichsleiterin Kunst an der Musik- und Kunstschule in Schwedt.
Diese zählt zu den größten und engagiertesten Einrichtungen im Land Brandenburg und zu den ganz wenigen, die zum obligatorischen Musikunterricht auch den in der Bildenden Kunst anbieten.
Die Tatsache, dass an den Musikschulen des Landes nur zwei festangestellte Mitarbeiter unter 30 Jahre tätig sind, zeigt ganz deutlich, wo dringender Handlungsbedarf besteht. Umso mehr freut sich Schwedt auf die statistisch nun dritte hauptamtliche Kraft unter 30.
Frau Vahrenhold, Ihre Internet-Eröffnungsseite zeigt eine Grafik, die für mich das Meer und Bewegung assoziiert. Ausdruck einer Sehnsucht oder nur Gestaltungsmittel? Immerhin sind Sie ja auf dem Weg von Halle nach Schwedt dem Meer etwas näher gekommen.
Eher Gestaltungsmittel, aber witzigerweise wollte ich mir zur Belohnung für meine abgegebene Diplomarbeit eine Reise an die Ostsee schenken. Mein Diplom ist nun schon anderthalb Jahre her und ich war immer noch nicht dort. Obwohl ich der See nun wirklich ein beachtliches Stück näher gerückt bin, habe ich es bis jetzt noch nicht geschafft.
In Ihrer Vita taucht eine Ausbildung zur Floristin auf und später das Studium an der Kunstschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein Halle. Zwei Dinge, die sich wahrlich nicht widersprechen, aber wie kam es dazu?
Wie viele Jugendliche wusste ich nach dem Abitur nicht so richtig, was ich beruflich machen wollte. Mir war nur relativ klar, dass ich einen kreativen Beruf ausüben möchte. Die Odyssee begann mit Bewerbungen in der Werbebranche und endete erst einmal mit einer nicht bestandenen Aufnahmeprüfung im Fach Produktdesign an der Burg Giebichenstein.
Auf Druck meiner Eltern, die meinten, ich müsse mich auf alles bewerben, was irgendwie kreativ sei, startete ich in Richtung Floristik und siehe da, es funktionierte. Die Ausbildung war insgesamt gut für mich, zum einen um mir darüber klar zu werden, was ich denn nun eigentlich wirklich will und zum anderen habe ich viel Interessantes gelernt. Da war es auch ganz hilfreich, dass mein Gestaltungslehrer in der Berufsschule selbst Künstler war und mich motivierte, einen zweiten Anlauf in Richtung Burg zu unternehmen. Denn ich hatte im Laufe der Lehre herausgefunden, dass sich bei mir eine Begabung entwickelt hatte, anderen etwas gut erklären zu können. Nun ja und dann war klar, ich studiere Diplomkunstpädagogik.
Mit Ihrer Position in Schwedt haben Sie sicherlich auch ein Stück Tradition der Familie Ring übernommen. Was bleibt und was wird für viele Kinder neu sein?
Ich sehe, dass die Schüler z.B., die bei Peter Ring seit langem Unterricht hatten, eine wahnsinnig gute Auffassungsgabe haben, man spürt das gründliche Naturstudium. Die Kinder sind auch ein Stück weit zur Selbstständigkeit erzogen, suchen u.a. autonom nach Materialien und legen einfach los.
Ich weiß nicht, was für die Kinder neu ist, mein Gesicht und die Tatsache, von einer jungen Lehrerin unterrichtet zu werden. Klar ist doch aber auch, dass jeder Pädagoge Eigenes einbringt, so gibt es bei mir einen Pflicht- und einen Kürteil. Kür heißt ganz individuell, zu eigenen Themen arbeiten.
Was sind die thematischen Schwerpunkte Ihrer Arbeit in diesem Schuljahr und wie würden Sie Ihre Arbeitsweise mit Kindern beschreiben?
Mein Versuch war es, gleich am Anfang ein gemeinsames Thema zu finden. Ich habe die Kinder und Jugendlichen gefragt, was sie gerne malen, wofür sie sich interessieren, welche Technik sie mögen und welche Künstler sie kennen. Ich hatte gehofft, dass wir ein gemeinsames Thema finden, aber die Antworten waren so unterschiedlich wie die Charaktere der Kinder. Neben Hamster und Fußballspieler ließen sich die Antworten dann aber doch zusammenfassen: Mensch, Tier und Landschaft. Künstlernamen waren leider nicht so präsent, was mich veranlasste, Bilder von Künstlern wie Cranach, Klimt, Picasso, Munch, Dahlie und Nolde, quasi quer durch die ganze Kunstgeschichte, zu finden, in denen die Motive „Mensch, Tier und Natur“ gleichzeitig vorkamen. Wir haben uns die Reproduktionen angeschaut und besprochen, was gefällt und was nicht. Abstrakte Bilder wurden nur von wenigen älteren Jugendlichen gemocht. Munch war das Lieblingsmotiv der meisten.
Alle Bilder sind nun im Atelier aufgehängt und sie sind Ausgangspunkt für unterschiedliche Sehweisen und unterschiedliche Techniken.
Dass Sie den Kindern Kunst vermitteln wollen, liegt auf der Hand. Aber was macht eine Kunstvermittlerin der Kunststiftung Sachsen-Anhalt, die Sie ja viele Jahre waren?
Zeitgenössische Kunst sollte allen zugänglich sein. Und manchmal braucht es dafür einen Rahmen, in dem man sich darüber austauschen kann. Für die Kunststiftung habe ich knapp über ein Jahr gearbeitet. Noch während meiner Diplomzeit übernahm ich die pädagogische Betreuung der Ersten Stipendiaten-Ausstellung der Kunststiftung - „48 Karat“. Meine Aufgaben dort umfassten die konzeptionelle und organisatorische Betreuung des gesamten museumspädagogischen Programms. Darin enthalten waren Führungen für unterschiedliche Zielgruppen, Lesungen, Filmabende, Künstlergespräche usw. Nachdem ich dann für die Kunststiftung eine Ausstellung in Brüssel kuratiert und den 1. Rundgang der neuen Galerien in Halle organisiert habe, musste für mich ein Konzept her: Wie macht man zeitgenössische Kunst, Kindern besser verständlich. Leider konnte ich nicht alles verwirklichen, was ich mir vorgenommen hatte. Ich verfolge das Programm aber intensivst aus der Ferne weiter.
Wie sieht es denn mit der „eigenen“ Kunst aus?
Eigentlich wollte ich mich auch mehr meiner Kunst widmen. Wollte zum Performancestammtisch nach Berlin fahren, Werke für eine Ausstellung schaffen und die angefangen Ölbilder zu Ende malen. Im Moment schaffe ich das zeitlich noch nicht, meine Ideen umzusetzen. Aber ich sammle alles und bin voller Tatendrang.
Ein Neuanfang bedeutet immer auch viel Arbeit und wenig Freizeit. Haben Sie denn schon in Schwedt etwas für den entspannten Abend oder die Wochenendgestaltung gefunden?
Ich bin ein Mensch, der keine Langeweile kennt. Neben den vielen Vorbereitungen, die ein interessanter Unterricht erfordert und der Umgestaltung des Schulhauses, engagiere ich mich bei der Kindervereinigung Schwedt e.V. und unterstütze den Internationalen Kinderzeichenwettbewerb. Ich war dieses Jahr zum ersten Mal in der Jury und habe bei der Auswahl der Arbeiten mitgewirkt.
Außerdem wollte ich immer schon mal gern in der Gemeinschaft das Singen erlernen und nun singe ich hier an der Musik- und Kunstschule im Chor. Abends sitze ich auch schon mal im Keramikkurs von Frau Ring.
Als die Sonne tagsüber noch etwas mehr Wärme ausstrahlte, bin ich mit dem Rad durch Schwedt und Umgebung gezogen und habe Apfelbäume fotografiert. Hier gibt es jede Menge Obstbäume und keiner interessiert sich dafür. An dem Supermarkt um die Ecke steht z.B. ein Apfelbaum, die Früchte rochen süß und lecker, aber die Leute kauften lieber die abgepackten Exemplare in Plastikfolie. Das hat mich so verwundert, dass ich überlege, aus dem Thema eine künstlerische Arbeit zu machen. Aber das gehört wahrscheinlich zum Blick einer Fremden, man sieht Dinge für die andere schon blind geworden sind. Auch wenn ich mit den Leuten über Schwedt spreche, werden sofort die negativen Dinge aufgezählt. „Ja, hier ist ja nichts los. Nur alte Menschen sind hier. “ Ich finde es toll, dass hier alles so schön grün und sauber ist und dass es ein reichhaltiges Vereinsleben gibt. Hier ist keiner allein, so mein Gefühl.
Die Musik- und Kunstschule Schwedt zählt zu den wenigen Musikschulen des Landes, die einen Kunstbereich integriert hat. Solange wie sich die Musikschulen des Landes mit den Bildenden Künsten verbunden haben, existiert die Diskussion über die Sinnfälligkeit dieser Verbindung.
Was meinen Sie, ist das ein Modell für die Zukunft und wenn ja, wo wird denn wirklich integrativ zusammengearbeitet?
Fachübergreifenden Unterricht halte ich für extrem wichtig. Die Kinder von heute sind so vielfältig gebildet, da ist es nur natürlich, dass man ihnen die Verbindungen zwischen den einzelnen Dingen aufzeigt und Zusammenhänge erklärt.
An der Musik-und Kunstschule Schwedt beschränkt sich die Zusammenarbeit der einzelnen Fachbereiche momentan nur auf die Zusammenarbeit an kleinen gemeinsamen Projekten, wie z.B. die Gestaltung eines Bühnenbildes oder dass Schüler des Malkurses Tänzer und Musiker in Bewegung zeichnen. Mir persönlich ist das noch zu wenig. Die Musiker können auch von der bildenden Kunst profitieren, denn Kunst ist nicht nur nette Dekoration der Musik. Wenn sie mich fragen, haben die Diskussionen über die Sinnfälligkeit dieser Verbindung etwas mit dem Wert zu tun, den man den Malkursen zuordnet. Es ist nicht schwerer, einen Bogen an eine Geige zu halten als einen Pinsel auf einem Blatt Papier zu bewegen. Aber wenn es darum geht, Virtuosität zu erlangen, braucht es wie beim Geige spielen viel Übung.
Im nächsten Jahr haben wir Schuljubiläum und einige Lehrer wollen zu unserem Namensgeber J.A.P. Schulz arbeiten. Ich hoffe, dass es da zu einer Verschmelzung der einzelnen Fachbereiche kommt. Wenn das gelingt, kann ich mehr über eine integrative Zusammenarbeit berichten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Norbert Löhn, Januar 2010
Aufgrund der großen Nachfrage, wird nach den Winterferien einen Zusatzkurs Kunst angeboten. Er findet immer wöchentlich von 16.00 bis 17.30 Uhr statt.
Ein Schnuppermonat zum Testen kostet 17,25 Euro (mit Sozialpass 11,83). Anmeldungen sind unter der Telefonnummer 03332 266311 möglich.